„Es braucht Augenmaß“

Kaum etwas wird aktuell so intensiv diskutiert wie ein potenzielles PFAS-Verbot. Hauptproblem: PFAS sind „gekommen, um zu bleiben“. Viele PFAS reichern sich in der Umwelt sowie im menschlichen und tierischen Gewebe an, was zu Krankheiten wie Krebs führen kann. Zahllose Produkte des Technischen Handels wären von einem Verbot betroffen. Eine hervorragende Möglichkeit, sich über den Fortgang des Verfahrens zu informieren, bot ein VTH-Online-Fachforum.

(Bildquelle: Chris Anton / stock.adobe.com)

Die Europäische Chemikalienagentur ECHA bereitet ein EU-weites Beschränkungsverbot für per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) vor, das allerdings frühestens Ende 2025 zu erwarten ist. Auch wenn es also noch einige Zeit dauern wird bis die Regelungen feststehen, werden viele Technische Händler von ihren Kunden mit zahlreichen Fragen zu einem möglichen Verbot von PFAS konfrontiert. Der VTH hat das Thema schon mehrfach auf der Tagesordnung gehabt und seine Mitglieder auf verschiedene Weise informiert. Auch ein allgemeines Antwortschreiben wurde als Hilfestellung erstellt und den Mitgliedern zur Verfügung gestellt. Einen vertieften Einblick in die Thematik erhielten Interessierte am 24. Mai 2024 beim VTH-Online-Fachforum „PFAS-Diskussion – Eine Geschichte mit ungewissem Ausgang“. Über 70 Teilnehmer aus den Fachgruppen „Schlauch- und Armaturentechnik“ und „Dichtungstechnik“ sowie dem angeschlossenen Lieferantenkreis folgten der Einladung.

Der Verband konnte Stefan Keck vom VTH-QUALITÄTSPARTNER Klinger Germany als Referenten gewinnen. Er beleuchtete den Prozess, der mit dem am 13. Januar 2023 eingereichten Dossier der federführenden Behörden aus Deutschland, den Niederlanden, Dänemark, Schweden und Norwegen zur Beschränkung aller PFAS in Gang gesetzt wurde. Daraufhin regte sich massiver Widerspruch von Experten. Bereits im Jahr 2019 hatte der EU-Ministerrat die Europäische Kommission aufgefordert, einen Aktionsplan zu entwickeln, um alle nicht wesentlichen Verwendungen von PFAS zu eliminieren.

Über alle Stadien des Lebenszyklus hinweg besteht eine große Bandbreite an Emissionsquellen (Bildquelle: European Commission / https://ec.europa.eu/environment/pdf/chemicals/2020/10/SWD_PFAS.pdf)

Der Begriff PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) hat sich allgemein eingebürgert, wenn es um eine Gruppe von Chemikalie geht, die zu einer Familie fluorhaltiger chemischer Verbindungen gehören. Sie werden von einer fast endlosen Liste von Herstellern verwendet, die eine überwältigende Anzahl von Produkten für eine scheinbar unendliche Anzahl von Anwendungen in praktisch allen Markt- und Produktsegmenten herstellen. Den am häufigsten zitierten Quellen zufolge gibt es zwischen 3.700 und 10.000 Mitglieder in der PFAS-Familie fluorhaltiger chemischer Verbindungen.

„Das Kind mit dem Bade ausschütten“?

Ein pauschales Verbot von PFAS würde erhebliche wirtschaftliche und technische Herausforderungen mit sich bringen. Die Substanzen sind aufgrund ihrer einzigartigen Eigenschaften in vielen industriellen Anwendungen bislang unverzichtbar. Sie bieten chemische und thermische Stabilität, Beständigkeit gegen UV-Licht und Verwitterung sowie wasser-, öl- und schmutzabweisende Fähigkeiten. Diese Eigenschaften machen sie ideal für Anwendungen wie Dichtungen, Schläuche, Leitungen und Ventile, die zur Sicherheit und Langlebigkeit industrieller Anlagen beitragen. PFAS werden in einer Vielzahl von Branchen verwendet, einschließlich der Chemie-, Textil- und Elektronikindustrie, sowie in Produkten wie Imprägniersprays, Löschschäumen und Kältemitteln. Auch zum Herstellen von Mikrochips sind PFAS entscheidend. „Ohne einige PFAS ist die Halbleiterherstellung einfach nicht möglich“, sagt ein führender europäischer Chipmanager. „Es gibt noch keine Alternativen auf dem Markt.“

Im Maschinen- und Anlagenbau wären nahezu alle Produkte oder Produktionsprozesse betroffen. Die Erzeugnisse aus PFAS sind oft maßgeblich für die Funktionalität und Sicherheit der Anlagen, insbesondere unter extremen Bedingungen. Auch die Energiewende zur Wasserstofftechnologie wäre bei einem unreflektierten, vollständigen PFAS-Verbot illusorisch und würde „das Kind mit dem Bade ausschütten“, sind die meisten Beobachter überzeugt.

Gefahr von Verwechslungen

Für den Dichtungssektor würde beispielsweise ein Produktsegment fehlen, welches den sicheren Umgang mit gefährlichen Stoffen erlaubt und damit erheblich zum Umweltschutz und dem Schutz von Personen und Anlagen beiträgt. Bei Schlauchleitungen müsste für jeden Einsatz bzw. für jede Abfüllung einzeln geprüft werden, welches alternative Schlauchmaterial verwendet werden kann. Hitzebeständigkeit und Resistenz gegen völlig unterschiedliche Chemikalien erfordern dann den Einsatz verschiedener Schlauchleitungen, was im laufenden Betrieb zu gefährlichen Verwechslungen führen kann und damit die Arbeits- und Prozesssicherheit gefährdet.

Das Beschränkungsverfahren betrifft nicht nur besorgniserregende flüchtige und wasserlösliche Fluorchemikalien, sondern auch die langkettigen Fluorpolymere, zu denen u.a. PTFE, FKM und FFKM sowie andere wichtige Hochleistungswerkstoffe gehören, die in mannigfaltigen Applikationen in allen Bereichen des Lebens Verwendung finden. Viele wichtige und innovative Technologien sind auf Dichtungen oder Schläuche aus Fluorpolymeren angewiesen, weshalb das Thema für zahlreiche VTH-Mitglieder von immenser Bedeutung ist.

Im Rahmen der öffentlichen Konsultation zu dem Beschränkungsdossier ist die Rekordzahl von 5.642 Kommentaren eingegangen. Diese werden nun sowohl von den wissenschaftlichen Ausschüssen der ECHA, dem Ausschuss für Risikobeurteilung (RAC) und dem Ausschuss für sozio-ökonomische Analyse (SEAC), als auch von den verantwortlichen Behörden Sektor für Sektor abgearbeitet. Sobald die ECHA-Ausschüsse ihre Stellungnahmen fertiggestellt haben, wird die Europäische Kommission gemeinsam mit den EU-Mitgliedstaaten über die Beschränkung entscheiden.

Regulierung und Verbotsoptionen

Stefan Keck machte zum Einstieg seines Vortrags beim VTH-Online-Fachforum deutlich, warum das PFAS-Verbotsverfahren eingeleitet wurde. Hauptproblem: PFAS sind „gekommen, um zu bleiben“, weshalb sie auch Ewigkeitschemikalien genannt werden. Über alle Stadien des Lebenszyklus hinweg besteht eine große Bandbreite an Emissionsquellen. Allein im Jahr 2020 gab es 75.000 t Emissionen. Der große Vorteil der PFAS, die sehr starke chemische Verbindung von Fluor und Kohlenstoff, ist zugleich die größte Herausforderung. Aufgrund der hohen Stabilität sind PFAS sehr langlebig, zersetzen sich nicht und reichern sich daher in der Umwelt, im Menschen und weiteren Organismen an. Das ist besonders problematisch, da einige PFAS im Verdacht stehen, krebserregend zu sein und zu Erkrankungen der Schilddrüse zu führen. Weiterhin werden Zusammenhänge mit neurologischen Entwicklungsstörungen und Einschränkungen der Fruchtbarkeit hergestellt.

Die Diskussionen über Verbote und Einschränkungen gehen mindestens bis ins Jahr 2000 zurück. Bisherige Regulierungsansätze für PFAS umfassten nur einzelne Gruppen (bestimmte PFCAs und Vorläufersubstanzen). Dennoch gab es über Jahrzehnte erhebliche Einträge von PFAS in die Umwelt, weil die Hersteller auf andere Untergruppen ausweichen konnten. Für die Behörden bedeuteten die bisherigen Regelungen viel Aufwand, bei den Betroffenen sorgten sie für Verunsicherung.

Der Produktmanager für Dichtungsplatten Stefan Keck berichtete, dass die EU zwei Hauptoptionen zur Regulierung von PFAS erwägt:

  • Vollständiges Verbot: Ein pauschales Verbot der Herstellung, des Inverkehrbringens und der Verwendung von PFAS. Hierbei ist eine Übergangsfrist von 18 Monaten vorgesehen.
  • Verbot mit Ausnahmen: Ein Verbot mit spezifischen Ausnahmen für bestimmte Anwendungen, wie Biozide, Medizintechnik und Pflanzenschutzmittel. Diese Ausnahmen sind nach Einschätzung zahlreicher Experten notwendig, da für viele Anwendungen derzeit keine geeigneten Alternativen existieren. Es würde umfangreiche Informationspflichten bei der Inanspruchnahme von Ausnahmen geben. 14 Sektoren und Anwendungsgebiete werden derzeit als Ausnahmen betrachtet.

Es wird auch diskutiert, wie lange bestimmte Anwendungen noch erlaubt sein sollen, bevor das Verbot in Kraft tritt. Beispiele hierfür sind Ausnahmen für Schmierstoffe unter extremen Bedingungen (bis zu 13,5 Jahre) und Kältemittel in der Tiefkühlung (bis zu 6,5 Jahre). Ebenso erwogen wird, möglicherweise mit zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen und Schutzvorkehrungen die Gefahren zu minimieren, um so ein Entweichen in die Umwelt zu verhindern.

Viele der Polymere, wie PTFE, erfüllen die (PLC) Kriterien der OECD (PLC = Polymer of low concern) und gelten damit für die Umwelt und Gesundheit des Menschen als unbedenklich. Im Herbst 2023 allerdings wurde in einem Gespräch zwischen der polymerverarbeitenden Industrie und der BAUA (die federführend für Deutschland das Beschränkungsverfahren betreibt) deutlich, dass die Polymere nicht gesondert betrachtet werden sollen. Begründung: beim Herstellen der Fluorpolymere und bei deren Entsorgung entstehen viele gefährliche Substanzen. Das daraus resultierende Risiko wird als zu groß angesehen, um die Polymere auszunehmen.

Die Klinger GmbH in Idstein hat selbst auch an der Konsultation teilgenommen und auf die gesicherte Unbedenklichkeit von PTFE hingewiesen. Keck berichtete, dass die Klinger Dichtungstechnik in Österreich beschlossen habe, in der Zukunft für „Klingertop-chem“-Produkte lediglich auf Rohstoffe zurückzugreifen, deren Produktionsprozesse vollkommen auf Polymerisationshilfsmittel verzichten, die in der Produktion der Rohstoffe schädliche PFAS erzeugen können. „Wir versuchen seitens Klinger an allen möglichen Ansatzpunkten für eine sinnvolle Entwicklung der PFAS-Thematik zu sorgen und hoffen, dass uns die EU-Kommission technologisch nicht um 50 Jahre zurückwirft“, sagte Keck und hofft darauf, dass mit Augenmaß gehandelt wird.

Ein Schreiben der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vom 5. April 2024, welches sie an eine Reihe von Abgeordneten der EVP-Fraktion im EU-Parlament adressiert hatte, weckt Hoffnungen darauf, dass die zunächst geplanten totalen Beschränkungen der Chemikaliengruppe der PFAS nur in abgeschwächter Form kommen werden. In dem Schreiben versichert sie, dass die Kommission Ausnahmeregelungen vorschlagen werde, solange keine tragfähigen Alternativen zur Verfügung stünden.

Bundesregierung plädiert für eine risikobasierte Regulierung

Auch die Bundesregierung unterstützt kein vollständiges Verbot von PFAS. Sie plädiert für eine risikobasierte Regulierung und betont die Notwendigkeit, die Forschung nach Alternativen voranzutreiben. Pauschale Verbote ganzer Stoffklassen werden abgelehnt, da sie nicht vom bestehenden europäischen Rechtsrahmen gedeckt sind und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gefährden könnten. Die Bundesregierung betont aber auch, dass negative Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit minimiert werden müssen.

Die Diskussion über die Regulierung von PFAS ist komplex und erfordert nach Einschätzung der meisten Experten eine Balance zwischen Umweltschutz und wirtschaftlicher Notwendigkeit. Während die Risiken und negativen Auswirkungen von PFAS anerkannt werden, sei es ebenso wichtig, praktikable Alternativen zu entwickeln und sicherzustellen, dass die Industrie weiterhin wettbewerbsfähig bleibt. Die vorgeschlagenen Maßnahmen und Ausnahmen zeigen in ihren Augen, dass eine differenzierte Herangehensweise bevorzugt wird, um den Übergang zu weniger schädlichen Substanzen zu ermöglichen, ohne die technologische Entwicklung zu behindern.

Gegenwärtig können es sich nur wenige Unternehmen oder Branchen leisten, nichts zu tun, bis für die PFAS-Problematik Fakten geschaffen werden. Sowohl die Hersteller als auch die Anwender von PFAS-Chemikalien in den unterschiedlichsten Branchen ringen mit der Frage, ob es sinnvoll ist, die derzeitigen PFAS-haltigen Systeme durch Produkte mit gleicher (oder, was wahrscheinlicher ist, geringerer) Leistung zu ersetzen. Es wird noch einiges auf den Technischen Handel zukommen, das Thema PFAS wird insbesondere die Akteure in der Schlauch- und Dichtungstechnik noch lange begleiten, sei es bei der Suche nach Ersatzmaterialien oder neuen Technologien für bestehende Einsätze.

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