Sicher dem Digitalisierungsdruck begegnen

Der Technische Handel steckt mitten in einer Umbruchphase. Dies ist insbesondere für die kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) eine große Herausforderung. Was treibt den Wandel der Branche an und wie geht man ihn am sinnvollsten an? Antworten darauf geben die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Untersuchung, die explizit die Situation im Technischen Handel betrachtet hat.

Notizzettel mit Digital Transformation
Bildquelle: Jérôme Rommé / stock.adobe.com

Die KMUs des Technischen Handels stehen vor Herausforderungen, die mit einem zunehmenden Grad an digitalen Technologien einhergehen. Dabei ist zu erkennen, dass große Tech-Unternehmen die regionalen Vorteile der KMUs, wie schnelle Belieferung und Marktkenntnis, durch digitale Vertriebswege umgehen. Dadurch steigt der Druck auf die Unternehmen, sich zukunftsfähig aufzustellen [1]. Es zeigt sich, dass die Anzahl an Unternehmen sinkt, während gleichzeitig der Umsatz steigt (vgl. Ahrens, 2020). Daraus lässt sich schließen, dass die Marktkonzentration im Handel zunimmt. Neben dem Druck durch große Technologie-Player wie Amazon, Marktplätze und Plattformen haben Händler mit weiteren Veränderungen zu kämpfen.

Eintrittsbarrieren sinken

Wie aus Bild 1 ersichtlich wird, kann in allen Feldern ein zunehmender Wandel durch die Technologisierung und Digitalisierung festgestellt werden. Bei den neuen Marktbegleitern ist zu erkennen, dass die Eintrittsbarrieren sinken und ein schneller Zugang zum Kunden ermöglicht wird. Dies wird durch die Nutzung von E-Commerce, digitale Vertriebskanäle und Baukastensysteme für Webshops und ERP-Systeme ermöglicht. Auf der Seite der Kunden wird ersichtlich, dass deren Anforderungen insbesondere hinsichtlich der Personalisierung und Individualisierung der Kommunikation und dem Produktsortiment stetig zunehmen. Ebenso ist zu erkennen, dass Kunden vermehrt auf Marktplätze und Plattformen zurückgreifen und nicht mehr den direkten Kontakt zu Händlern wählen.

In Bezug auf die Substitute kann beschrieben werden, dass Händler vor die Herausforderung gestellt werden, ihre meist analogen Vertriebswege und das bestehende Produkt- und Dienstleistungsportfolio zu überdenken. Digitale Vertriebswege, wie der Omni-Channel, die Nutzung von Daten sowie digitale Produkte und Dienstleistungen zeigen hier die wesentlichen Veränderungen auf. Bezüglich der Lieferanten ist gerade bei Großmengen der zunehmende Direktvertrieb an den Kunden zu erkennen, der eine Ausschaltung der Händler bedingt. Ziele der Lieferanten sind der direkte Kontakt zum Kunden und deren Daten sowie das Einsparen von Handelsmargen und -provisionen.

Innerhalb des Marktes ist, wie bereits erwähnt, eine Konzentration auf größere Unternehmen zu erkennen, da diese bereits die Möglichkeiten des digitalen Vertriebs und der gezielten Kundenansprache umsetzten. Durch die Digitalisierung der Märkte werden Produkte transparenter und somit vergleichbarer, weswegen die Geschwindigkeit des Unternehmens bei der Angebotsbearbeitung an Bedeutung gewinnt und zu weiterem Zeit- und Effizienzdruck auf Händler führt.

Die Situation im Haus Siegle

Auch wir spüren die Treiber des digitalen Wandels und sehen die Herausforderungen, die auf das gesamte Unternehmen und jeden einzelnen Mitarbeiter wirken. Die neue Geschäftsführung weiß jedoch, was auf sie zukommt. Durch die Kombination langjähriger Erfahrung, tiefgreifender Unternehmenskenntnisse und digitalem Innovationsgeist werden wir die Entwicklungen zu unserem Vorteil nutzen.

Die Lösung klingt einfach, die Umsetzung ist es nicht

Bei der digitalen Transformation sind insbesondere die Themen neuartiger Multikanaldistributionen, Kommunikationskanäle sowie digitale Produkte und Dienstleistungen von besonderer Bedeutung. Es zeigt sich, dass die Anforderungen der Kunden an Qualität, Preis und Verfügbarkeit steigen und sich zudem die Bedürfnisse der Zielgruppen verändern. Diese Ansprüche sowie eine steigende Marktkomplexität durch digitale Aspekte stellen neue Anforderungen an Handelsunternehmen. Thomas Vierhaus, Hauptgeschäftsführer und Vorstand des VTH, beschrieb das schon 2017 im TH. Die digitale Transformation sieht er als zentrale Chance, um Wettbewerbsvorteile gegenüber bestehenden und neuen Marktbegleitern sowie Lieferanten zu generieren und den Anforderungen der Kunden gerecht zu werden. „Es geht folgerichtig darum, das eigene Geschäftsmodell zu transformieren, bevor es andere tun“ [2]. 2020 ergänzt er: „Ich sehe sie zwar nicht als disruptiven Prozess, denn wir als Technische Händler machen immer noch das gleiche. Dennoch ist es eine Chance, sich zu optimieren und kundenorientierter aufzustellen.“

Die Anforderungen der Kunden verändern den Vertrieb dahingehend, dass sie ein transparentes Angebot sowie Echtzeitinformationen zu Lieferung, Produkten und Dienstleistungen verlangen. Zudem bedingen sie ein neuartiges Kundenmanagement, das individuelle Angebote unter Berücksichtigung von Kaufgewohnheiten und Personalisierung ermöglicht. Somit ergeben sich durch die genannten Aspekte weitreichende Herausforderungen. Unternehmen dieser Branche stehen unter einem signifikanten Druck, sich diesen Veränderungen anzupassen und das Geschäftsmodell zukunftsfähig im Rahmen der Digitalisierung aufzustellen.

Die zentrale Fragestellung für Unternehmen des Technischen Handels ist dabei, durch welche digitalen Komponenten das Geschäftsmodell ergänzt werden muss, um diese Bedürfnisse zu erfüllen und eine kundenzentrierte Wertschöpfung zu gestalten.

Auch wir haben uns bei Siegle die Frage gestellt, wie wir das Unternehmen nach den Bedürfnissen unserer Kunden aufbauen und weiterentwickeln können. Dazu habe ich mir im Rahmen meiner Masterarbeit das Ziel gesetzt, relevante Faktoren zu identifizieren, die ein KMU aus dem Handel bei der Entwicklung eines digitalen Geschäftsmodells befähigen. Dazu sollten Erfolgsfaktoren identifiziert werden, die die Charakteristika der Unternehmen berücksichtigen. Ziel war es, eine leicht umzusetzende Hilfestellung für kleine und mittlere Händler zu entwickeln.

Das Konzept der Erfolgsfaktoren

Das Ziel der Erhöhung des Kundennutzens durch die digitale Transformation des Geschäftsmodells steht an oberster Stelle (Bild 2). Es dient als Grundlage für die Bestimmung von Erfolgsfaktoren und deren Ausprägung. Die Maßnahmen sind operative Tätigkeiten des Unternehmens, um die Erfolgsfaktoren umzusetzen.

Das Ziel im Unternehmen Siegle ist es, dem Kunden ein noch vielseitigeres Angebot bei gleichzeitiger Fokussierung auf seine Bedürfnisse zu bieten. Wir möchten unser Portfolio ergänzen, um den Kunden an seinen Schnittstellen gezielt zu bedienen und dabei Vorteile für alle Parteien zu generieren. Auch interne Optimierungen führen zu wesentlichen Vorteilen für den Kunden, da er so schneller, individualisierter und transparenter beraten werden kann. Hierdurch ist auch unser Verständnis geprägt: ein Technischer Händler und Produzent mit Tradition und Innovation. Dies zeigt, wir möchten unseren fachkundigen Vertrieb und die professionelle Fertigung um innovative Komponenten ergänzen. Diese digitalen Elemente sind nicht durch die Geschäftsleitung bestimmt worden, sondern vielmehr durch unsere Mitarbeiter und Kunden.

Die Erfolgsfaktoren

Der Katalog an Erfolgsfaktoren wurde mit Partnern aus Handelsunternehmen sowie Beratern entwickelt und durch Aspekte aus der Praxis ergänzt.

  • Eine digitale Transformation kann wesentlich durch den Aufbau digitaler Fähigkeiten und Kompetenzen ermöglicht werden. Dadurch steigt zum einen das Verständnis digitaler Technologien und zum anderen die Investitionsbereitschaft der Führungskräfte. Zudem können die vorhandenen Defizite der Mitarbeiter durch Schulungen reduziert, Wissenslücken geschlossen sowie Widerstände abgebaut werden.
  • Bezüglich der Anpassung des Recruitings ist es für die Personalabteilung des KMU relevant, weniger nach bestimmten Positionen, sondern nach Persönlichkeiten zu suchen und diese anschließend weiterzubilden. So kann der geringeren Reputation vieler Händler entgegengewirkt werden. Zudem sollten soziale Netzwerke für zukünftige Bewerber genutzt werden, da hier kostengünstig und zielgruppenspezifisch neue Auszubildende kontaktiert werden können.
  • Für die Omni-Channel Strategie und die Kommunikationskanäle wird ein selektives Vorgehen empfohlen, das mit vorhandenen personellen Ressourcen der KMU aus der Handelsbranche ermöglicht werden kann. Zudem muss der direkte Kontakt zu den Kunden genutzt werden, um somit gezielt relevante Kanäle kundenorientiert aufzubauen.
  • Des Weiteren sollten KMU Kooperationen mit externen Partnern eingehen, um interne Engpässe bei digitalen Kompetenzen gezielt auszugleichen und Know-how für die moderne Arbeitsweise zu erlangen. Die regionale Nähe zum Kunden sollte genutzt werden, um diesen zum Mitgestalter des Unternehmens zu machen und somit das Produkt- und Dienstleistungsportfolio gemeinsam zu formen.
  • Die Portfoliostrategie sowie der Gebrauch von Machine Learning sind für Handels-KMU aufgrund der Nischenaktivität notwendig, um den spezifischen Markt noch passender zu bedienen und somit deren Position zu stärken.
  • Die Digitalisierung der Prozesse stellt eine Möglichkeit für KMU dar, die Gefahr der Abhängigkeit von einzelnen Personen in Schlüsselpositionen zu reduzieren. Durch digitale Prozesse können andere Personen das Vorgehen nachverfolgen und somit die Schlüsselaktivitäten kompetent ausgeführt werden.
  • Als letzter Aspekt ist die Bedeutung der Offenheit und Akzeptanz zu nennen, die aufgrund eines oft anzutreffenden autoritären Führungsstils und geringer Investitionsbereitschaft sowie der hohe Personalbindung in KMU bei langjährigen Mitarbeitern gefördert werden muss.

Die Roadmap zum Erfolg

Für eine gezielte Umsetzung bietet sich eine Roadmap an, die bestimmte Erfolgsfaktoren in eine zeitliche Reihenfolge ordnet.

  • Zunächst müssen die Bereitschaft und Akzeptanz der obersten Führungsebene vorhanden sein. Dies befähigt den aktiven Support aller Führungskräfte.
  • Anschließend sind die grundlegenden Anforderungen des Kunden zu bestimmen, um eine kundenzentrierte Strategie entwickeln zu können. Dazu wird eine direkte Kooperation mit Kunden und Vertriebsmitarbeitern empfohlen.
  • Daraufhin werden das Ziel sowie eine Strategie der Digitalisierung definiert, welche die Maximierung des Kundennutzens im Mittelpunkt haben.
  • Als weiterer Schritt wird zu einer internen Analyse geraten, inwiefern die Anforderungen durch das Portfolio des Unternehmens bereits erfüllt werden. Dies wird als Bestandsanalyse beschrieben, in der zudem eine realistische Einschätzung des Digitalisierungsgrades und der bestehenden Prozesse vorgenommen wird.
  • Anschießend muss ein interdisziplinäres Projektteam gebildet werden, das aus Führungskräften aber auch Verantwortlichen aller wesentlichen Fachabteilungen besteht. Dadurch kann die kollaborative Kultur und Zusammenarbeit gefördert werden. Wichtig dabei ist, dass diese Teams zudem aus älteren Mitarbeitern mit Fachwissen sowie jungen Mitarbeitern mit Affinität zu digitalen Technologien bestehen sollten. Dabei müssen auch bestehende Barrieren und Hindernisse wie der Datenaustausch zwischen den Abteilungen abgebaut werden, um die Projektteams zu befähigen.
Wenn das Projekt und die Anforderungen bestimmt wurden, sollen bei Bedarf Partner im Rahmen einer Kooperation hinzugezogen werden. Gerade für kleinere Unternehmen ist es entscheidend, dass aufgrund der Kosten und dem begrenzten Zeitraum eine sehr selektive Auswahl der Partner vorgenommen wird. Gemeinsam mit dem Projektteam und den Partnern muss dann ermittelt werden, an welcher Stelle Technologie eingesetzt und wie dadurch der Kundennutzen erhöht werden kann. Zu berücksichtigen ist hierbei die Kompatibilität mit bestehender Software und vorhandenen Schnittstellen. Das Projektteam und die Partner müssen anschließend einen Zeitplan mit Verantwortlichkeiten und Milestones erstellen. Dies beschreibt explizit das schrittweise Vorgehen, um Risiken frühzeitig zu erkennen.  Zudem muss der Mehrwert für den Kunden aber auch den einzelnen Mitarbeiter klar kommuniziert werden, um Offenheit und Akzeptanz zu fördern und somit alle ins Boot zu holen. Des Weiteren ist es zielführend, dass für die Implementierung geeignete Schulungskonzepte ausgearbeitet werden, um Mitarbeiter zu befähigen und deren Kompetenzen zu fördern. Während des Projekts muss außerdem eine stetige Überprüfung des Erfolgs und der Zeiteinhaltung gewährleistet werden.

Autor

Christopher Ultsch ist Mitglied der Geschäftsleitung bei der Leop. Siegle GmbH & Co. KG, Augsburg. In seinem Studium erreichte er die Abschlüsse Bachelor of Science: International Management (2018) an der ISM München und schloss seinen Master of Science: Applied Business Innovation mit dem Schwerpunkt auf digitaler Transformation (2021) an der Hochschule München ab. Kontakt: Christopher.Ultsch@siegle.de

Quellen

[1] Kaschny, M., Nolden, M. & Schreuder, S. (2015). Innovationsmanagement im Mittelstand: Strategien, Implementierung, Praxisbeispiele. Wiesbaden: Springer-Verlag.

[2] Vierhaus, T. (2017), Eine Branche im Wandel. TH Technischer Handel, 3/2017.

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