IVPS und VTH streben eine Vereinfachung der Dokumentationspflicht für PSA-Produkte an
TH: Hersteller von Persönlichen Schutzausrüstungen und deren Vertriebspartner müssen gemäß PSA-Richtlinie 89/686/EWG dafür Sorge tragen, dass die Produkte mit zweckdienlichen Angaben zu verschiedenen Punkten mittels entsprechender Informationsbroschüre in den Verkehr gebracht werden. Können Sie kurz exemplarisch beschreiben, zu welchen Auswüchsen dieser Punkt der Richtlinie geführt hat.
Heitmann: Bei komplexen Produkten, wie etwa einer Trainingsanlage, ist es nachvollziehbar, dass man umfangreiche Gebrauchsanleitungen und Infomaterialien mit ausliefern muss, damit der Kunde die Produkte auch vollständig, vernünftig und sicher nutzen kann. Wenn man es allerdings mit vergleichsweise einfachen PSA-Produkten zu tun hat, wie Brillen oder Feinstaubfiltermasken, deren Einkaufswert im Euro-Bereich liegen kann und die häufig, oft sogar täglich gewechselt werden, dann sind die Auswüchse darin zu sehen, dass zu jedem dieser Produkte einzeln verpackt eine Dokumentation hinzugefügt werden muss. Diese muss in mehreren Sprachen vorliegen, was auch dazu beiträgt, dass die Dokumentation teurer werden kann als das Produkt selbst. Vor kurzem rief uns ein Kunde an und fragte, wo man die nicht benötigte Palette mit Gebrauchsanleitungen entsorgen solle. Unabhängig vom Umweltaspekt durch den hohen Papierverbrauch, ist es eine völlig falsche Vorgehensweise. Wir müssen künftig verhindern, dass der größte Teil der Gebrauchsanleitungen, die auf diesem Weg eigentlich den Endanwender erreichen soll, direkt in der Mülltonne landen.
TH: Die Richtlinie ist rund 25 Jahre alt. Gab es die heutigen Probleme früher nicht?
Heitmann: Früher war die Frage der Umsetzung der Richtlinien-Vorgaben an dem Punkt nicht so relevant. EU-Richtlinien werden heute viel intensiver gelebt, was der Arbeitssicherheit generell sehr gut tut und unter anderem für sinkende Unfallraten sorgt.
Auf der anderen Seite erleben wir den Umstand, dass man die Richtlinien in allen Details mit Kraft durchsetzt. Unberücksichtigt bleibt, dass es auch eines pragmatischen Ansatzes bedarf.
TH: Sind die Hersteller und Händler auch in den letzten Jahren vorsichtiger geworden, weil sie rechtliche Probleme befürchten?
Heitmann: Die Hersteller sind aufgrund von veränderten Compliance-Vorgaben und der Sorge vor Schadensersatzansprüchen sicherlich ein Stück vorsichtiger geworden. Alle versuchen, auf der sicheren Seite zu sein, verlieren dabei aber den eigentlichen Anwender ein bisschen aus dem Blickfeld. Den müssen wir jetzt wieder stärker in den Fokus bringen. Das ist doch der eigentlich Zweck von PSA – den Anwender zu schützen und nicht Richtlinien zu erfüllen. Untersuchungen belegen: weniger Informationen in PSA-Verpackungen erhöhen wesentlich die Chance, dass der Anwender die Informationen auch tatsächlich liest und aufnehmen kann.
TH: Vor kurzem hat sich eine Interessengruppe zusammengefunden, die den Dokumentations-Auswüchsen von heute künftig einen Riegel vorschieben will. Wie kam es dazu? Wer ist neben den Herstellern noch mit im Boot?
Heitmann: Wir haben mit mehreren Händlern und Herstellern während unterschiedlicher Verbandsmeetings, sowohl beim VTH als auch beim IVPS die Themen diskutiert. Auslöser war ein Expertengespräch beim VTH, währenddessen wir verschiedene Szenarien diskutiert haben. Schließlich sind wir übereinstimmend zu der Überzeugung gekommen, dass es sinnvoll ist, die Idee weiterzuverfolgen, alle wesentlichen Informationen auf einem einseitigen Dokument festzuhalten. Wir wollen versuchen, bei der EU-Gesetzgebung über den Weg der Normenausschüsse, des nationalen Beraterkreises PSA und das Berufsgenossenschaftliche Institut für Arbeitsschutz Einfluss zu nehmen, damit am Ende mehr bezahlbare Arbeitssicherheit herauskommt. Ich glaube es ist wichtig, dass es uns von Seiten des IVPS und des VTH gelingt, die notwendige Sensibilität in den verantwortlichen Gremien zu erzeugen. Das ist sicher nicht von heute auf morgen zu erreichen. Wenn wir dies mit einem abgestimmten, klar gezeichneten Bild vorantreiben, dann bin ich zuversichtlich, dass am Ende das Vernünftige gewinnen wird.
TH: Was sind die wesentlichen Elemente des Verbesserungsvorschlags?
Heitmann: Basis unseres Vorschlags ist die Überzeugung, dass die eigentlichen Dokumentationsvorgaben gut sind und nicht geändert werden sollten. Im B2B-Umfeld muss ein Verantwortlicher für Arbeitssicherheit im Unternehmen alle Arbeitnehmer in den Gebrauch der PSA-Produkte einweisen. Dazu braucht er eine ausführliche Anleitung. Nach unserer Überzeugung muss diese Anleitung aber nicht zwingend an jedem Produkt zu finden sein. Unser Vorschlag lautet deshalb: der Hauptteil der Informationsbroschüre wird elektronisch gespeichert und lässt sich unkompliziert in der jeweils benötigten Sprache über das Internet abrufen. Dies hätte mehrere Vorteile: Elektronische abgelegte Dokumente lassen sich wesentlich schneller aktualisieren als gedruckte Informationen, die beim Kunden vor Ort liegen. Außerdem erlauben es die neuen Medien moderne methodische Techniken anzuwenden, z.B. mit einem Videotraining, um die Sicherheitsbeauftragten in den Unternehmen wesentlich effizienter zu unterstützen. Damit die Anwender die Kerninformationen stets verfügbar haben, sollte künftig allen PSA-Produkten nur ein einseitiges Dokument beigelegt werden. Diese „One-Page-Information“, kurz OPI, mit überwiegend grafisch dargestellten Informationen wird sicherstellen, dass der Endanwender die wichtigsten Informationen zum Gebrauch an seinem Arbeitsplatz hat. Wir sind fest davon überzeugt, dass das OPI-Konzept die Arbeitssicherheit maßgeblich verbessern würde.
Weniger Informationen in PSA-Verpackungen erhöhen wesentlich die Chance, dass der Anwender die Informationen auch tatsächlich liest und die PSA richtig anwenden kann Bildquelle: Dräger
Eine Herausforderung für die Hersteller ergibt sich dadurch, dass einige PSA-Produkte nicht ausschließlich im B2B-Umfeld verwendet werden, sondern auch im DIY-Bereich verkauft werden.
TH: Das von Ihnen skizzierte OPI-Konzept sieht nicht so aus, als würde es weniger Aufwand für die Hersteller bedeuten?
Heitmann: Ich habe am Anfang auch geglaubt, dass viel weniger gedruckte Informationen auch wesentlich geringere Kosten nach sich ziehen werden. Doch inzwischen bin ich sicher, dass es für die Hersteller am Anfang eher das Gegenteil bedeutet. Aber es ging uns ja auch von Anfang nicht darum, Kosten zu sparen, sondern das Thema Dokumentation in der Arbeitssicherheit in einem vernünftigen Umfang an den Endanwender zu bringen und die Arbeitswelt sicherer zu machen. Erst wenn sich die mobilen Endgeräte überall etabliert haben, werden die Kosten wieder sinken, weil dann die Gesamtzahl der gedruckten Informationsbroschüren deutlich sinken wird, ohne Risiko für den Anwender.
TH: Warum wäre gerade aus Sicht des Technischen Handels eine Vereinfachung der Dokumentationspflicht hilfreich?
Heitmann: Der Handel wird deutlich gewinnen, weil er bessere und aktuellere Informationen auf elektronischem Wege bekommt. Davon wird langfristig auch die Herstellerseite profitieren, weil die Aktualisierung der Unterlagen schneller möglich ist. Die Handhabung der Informationsverpflichtung des Handels wird so natürlich auch wesentlich einfacher, weil er auf die Internetseiten der Hersteller verweisen kann. Diese müssen sicherstellen, dass sie einfache Formate der Weblinks auf ihren Produkten anbringen, beispielsweise über QR-Codes oder „sprechende“ Internet-Adressen. Uns ist wichtig, dass die Informationen einfach abgerufen werden können.
TH: Machen Sie es sich nicht zu einfach wenn sie nur sagen, es muss einfach sein? Muss es nicht standardisierte Vorlagen für die One-Pager geben?
Nur richtig angewendete PSA schützt wirklich
Bildquelle: Dräger
Heitmann: In einem Pilotprojekt ist darüber diskutiert worden. Wir haben aber sehr schnell feststellen müssen, dass dies aufgrund der Produktvielfalt nicht möglich sein wird. Einig war man sich, dass man mit vielen Piktogrammen die wichtigsten Informationen übermitteln kann. Wie die OPIs aber im Detail aussehen sollten, das muss man unterschiedlich je nach Produktgruppe betrachten.
TH: Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Hersteller an der Stelle an einem Strang ziehen werden?
Heitmann: Ich glaube, dass die Organisationen IVPS und VTH nach vorne gehen und die Initiative ergreifen sollten, damit das Thema ein Stück voran gebracht wird. Ich würde mich freuen, wenn der europäische Gesetzgeber bereit wäre, es in einem ausgewählten Produktbereich zuzulassen, das Verfahren in einem Pilotprojekt zu testen und mit Studien zu begleiten. Von Seiten der Normengremien wurde uns schon Zustimmung signalisiert.
TH: Wann, glauben Sie, wird das OPI-Konzept Wirklichkeit?
Heitmann: Ich hoffe, dass wir in diesem Jahr die ersten Signale bekommen, dass wir das angesprochene Pilotprojekt beginnen können. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Die besagte Hersteller-Richtlinie muss und soll baldigst auf EU-Ebene überarbeitet werden und der VTH-Hauptgeschäftsführer Thomas Vierhaus kann unseren Vorschlag als Mitglied des Gremiums über den nationalen Beraterkreis PSA, der beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) angesiedelt ist, einbringen. Eine gute Gelegenheit, unser Anliegen zur Reduzierung der sinnlosen Papierflut und Steigerung der Sicherheit voranzubringen.
www.vth-verband.de, www.ivps.de
Der Originaltext der PSA-Richtlinie 89/686/EWG findet sich online unter folgender Adresse:
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1989L0686:20031120:DE:PDF
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