Vergangenheit ist Zukunft

Geschichte ist Vergangenheit, nicht mehr zu ändern – damit auch unbedeutend für die Zukunft? Mitnichten! Es gibt ja immer wieder Menschen, die verschwenden keinen Blick zurück, doch ihnen entgeht dabei vieles – Spannendes, Lehrreiches und Unterhaltsames, wie ein Blick zurück auf 111 Jahre Technischer Handel zeigt.

Aufmacher-Illustration

Was ist Geschichte? Im 2011 von Reclam veröffentlichten „Lexikon Philosophie – Hundert Grundbegriffe“ steht eine gute Definition: „Unter Geschichte versteht man im Allgemeinen diejenigen Aspekte der Vergangenheit, derer Menschen gedenken und die sie deuten, um sich über den Charakter zeitlichen Wandels und dessen Auswirkungen auf die eigene Gegenwart und Zukunft zu orientieren.“ Das Hier und Jetzt geht also nicht ohne die Vergangenheit. Das gilt für Individuen genauso, wie für Gemeinschaften, Firmen, Branchen, Länder, oder mit dem ganz großen Blick, auch für die Menschheit. Konzentrieren wir uns nachfolgend auf unsere Branche (ohne die allgemeine Entwicklung aus dem Blick zu lassen), die sich um den Wechsel zum 20. Jahrhundert als solche etablierte. Bereits 1904 wurde der heutige VTH Verband Technischer Handel e.V. als freiwillige Schutzgemeinschaft der damaligen Asbest- und Gummiwarenhändler gegründet. Nur sieben Jahre später wurde die Zeitschrift „Technischer Handel“ aus der Taufe gehoben, die von Anfang als Organ der Branche auftrat.

Auch wenn 1911 zumindest kulinarisch mit einem Jahrhundertjahrgang für die deutschen Winzer glänzte, der Wein wurde auch als „Kometenwein“ bezeichnet, war das Jahr sonst von keiner guten Stimmung geprägt. „Kanonenbootdiplomatie“ und Kriegstreiberei prägten die politische Welt. Deutschland und Großbritannien versuchten durch ein Wettrüsten strategische Vorteile zur See zu erzielen und der deutsch-französische Gegensatz in Elsass-Lothringen und Marokko führten zu einem kaum zu bremsenden „Hurra-Patriotismus“. Gleichzeitig verschärften sich die Spannungen auf dem Balkan.

Asbest und Gummi bestimmten die Sortimente

Technologisch gab es 1911 einen Quantensprung: Im Deutschen Museum wurde der erste Fernsehapparat der Welt aufgestellt. Von derartigen Innovationen war im Technischen Handel wenig zu spüren. Asbest und Gummi bestimmten die Sortimente. Ersteres kennt heute kaum noch jemand. Die davon ausgehenden Gesundheitsgefahren sorgten bereits 1969 für ein erstes Verbot in der DDR, 1993 für das endgültige Aus in ganz in Deutschland. Gummi aber ist bis heute ein essentieller Werkstoff der Branche. Allerdings nicht so zentral wie vor 111 Jahren, als der Technische Handel auch noch die Endverbraucher als Einzelhändler stark im Fokus hatte, wovon auch Produkte wie Gummiringe, Wärmflaschen, Fußballblasen, Bettwäsche aus Gummi, Irrigatorschläuche oder gar Windelhosen zeugen.

Das Schicksal des Technischen Handels war also lange Zeit mit dem Wohlergehen der Gummiindustrie verknüpft. Dabei waren die Beziehungen nicht immer eng und freundschaftlich. Schon der Vorläufer des VTH hatte in seinen Vereinsstatuten festgehalten, dass man seine Aufgaben unter anderem in der „Wahrung und Vertretung der Interessen seiner Mitglieder gegen Willkürlichkeiten der Fabrikanten dieser Artikel“ sehe. Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Beziehungen des Handels zur vorgelagerten Industrie vertrauensvoller, aber nicht immer waren sie spannungsfrei. Gerade in jüngster Zeit hat das Thema „Preis bei Lieferung“ für Missstimmung gesorgt, die an frühere Zeiten erinnert.

Umbrüche gut gemeistert

Während der seit der Gründung von TH folgenden elf Jahrzehnte gab es im Technischen Handel viele Umbrüche, mit teilweise tiefgreifenden Einschnitten. Das galt insbesondere natürlich für die Zeit der beiden Weltkriege und die Jahre danach, etwa mit der deutsch-deutschen Teilung, aber auch für die Wiedervereinigung. Zählte Deutschland vor dem 1. Weltkrieg noch zu den Top-Wirtschaftsnationen, so war die Lage nach dem verlorenen Krieg aufgrund von Reparationslasten und Inflation mehrere Jahre sehr misslich. Der kurzen Blütephase in den goldenen Zwanzigern folgte die Weltwirtschaftkrise Ende der 1920er Jahre. Zwar ging es zur Zeit des Nationalsozialismus wirtschaftlich aufwärts, aber zu welch furchtbarem Preis! Der von einem totalitären, menschenverachtenden Staatssystem angezettelte 2. Weltkrieg führte schließlich den gesamten Globus an den Rand des Abgrunds. Zumindest Westdeutschland konnte von Glück sagen, dass sich anschließend eine neue politisch angespannte Großwetterlage einstellte und die Bundesrepublik vergleichsweise schnell nach dem 2. Weltkrieg von außen gefördert wurde. Marshallplan, Währungsreform und die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft sorgten für das „Wirtschaftswunder“, von dem auch der Technische Handel als Querschnittsbranche profitierte. Unternehmergeist auf der einen, und auf der anderen Seite der feste Wille von Arbeitern und Angestellten, mit Fleiß und Beharrlichkeit das Land nach den Schreckensjahren wieder voranzubringen, sorgten für eine schnelle wirtschaftliche Gesundung. Das wirtschaftliche Vorkriegsniveau wurde schnell überschritten und bereits 1958 verdrängte die Bundesrepublik Großbritannien vom zweiten Platz unter den führenden Wirtschaftsnationen. Seither konnte der Technische Handel eine einigermaßen gleichmäßige Entwicklung verzeichnen. Dazu trug maßgeblich auch die Globalisierung bei, die gerade für die Exportnation Deutschland von Vorteil war.

Heute gibt es allerdings angesichts der jüngsten weltgeschichtlichen Entwicklungen ernsthaft Wirtschaftswissenschaftler, die die Globalisierung in Frage stellen. Mainstream ist das nicht, aber dass sich künftig einiges ändern wird, scheint unstrittig. Vor allem gilt es, die in einigen Bereichen stark angewachsenen Abhängigkeiten zu reduzieren. Infolgedessen werden auch die Lieferketten überprüft und neu geregelt werden, auch mit Auswirkungen auf den Technischen Handel.

Spezialisierung schon um 1900

Auch wenn man es kaum glaubt, die heute üblicherweise anzutreffende Spezialisierung ist schon viel älter und reicht fast an die Anfänge der Branche zurück. Schon um 1900 hatten viele Handelsunternehmen Artikel des speziellen technischen Bedarfs für bestimmte Abnehmergruppen im Angebot.

Veränderung auch bei den betrieblichen Abläufen: Bestimmten früher klassische Handelskontore das Bild, so sind es heute von vorne bis hinten durchorganisierte Betriebe, in denen automatische Lagereinrichtungen inzwischen keine Seltenheit, computergestützte und internetbasierte, elektronische Beschaffungs- und Vertriebsprozesse die Regel und kundenentlastende Services wie C-Teilemanagement und Kanban-Systeme das Maß der Dinge sind. Rund um die Uhr, Just-in-time sind viele Händler für ihre Kunden aktiv.

Dienstleistung hat Zukunft

Der Technische Handel hat par excellence den Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft mit vollzogen. Obwohl in Deutschland Dienstleistung am Kunden heute immer noch selten Priorität hat, für den Technischen Handel gilt hierzulande das Gegenteil. Den Technischen Handel zeichnet heute hohe Beratungskompetenz bei Produkten und deren Anwendung aus. Nicht zuletzt deshalb ist die Branche in Deutschland erfolgreich.

Der auch dafür erforderlichen digitalen Wandel wurde beherzt angepackt. Noch nicht jeder Technische Händler hat sich ausreichend digitale Kanäle erschlossen. Künftig muss er dies aber, um weiter Geschäfte machen zu können. Einkäufer werden kaum anderes mehr akzeptieren. Was nicht bedeutet, dass es nicht auch künftig noch „menschelt“ zwischen Ein- und Verkauf. Außendienst wird dann aber vor allem Ausbau des strategischen Kundenmanagements bedeuten.

Die digitale und die reale Welt werden in den kommenden Jahren noch weiter miteinander verschmelzen. Vermutlich werden wir über kurz oder lang vom Metaversum sprechen, welches insbesondere die Kommunikation verändern wird. Auch der Technische Handel wird diese Schritte frühzeitig mitgehen. Im Vordergrund wird aber sein stetes Bemühen stehen, für seine Kunden Lösungen zu finden, als Möglichmacher zu agieren.

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