Lieferketten stabilisieren und sichern

Derzeit überdenken viele Unternehmen ihr Einkaufs- und Beschaffungsmanagement – im Gefolge der Corona-Pandemie und weil 2023 das neue Lieferkettengesetz in Kraft tritt. Hilfestellung bei der Lieferantenbewertung und -auswahl bieten inzwischen auch Softwareprogramme.

Stapler auf Tastatur
Logistics, supply chain and delivery service concept : Fork-lift truck moves a pallet with box carton. Van on a laptop computer, depicts wide spread of products around globe in ecommerce popular era Bildquelle: William W. Potter / stock.adobe.com

In den zurückliegenden Monaten haben viele Entscheider in den Unternehmen erkannt, dass die Stabilität der Lieferkette ein zentraler Erfolgsfaktor des Unternehmens ist. Denn bleiben die für ihre Leistungserbringung erforderlichen Materialien und Vorprodukte aus, steht ihre „Produktion“ still. Also können sie auch nichts an ihre Kunden ausliefern. Und dies führt wiederum schnell zu Ebbe in ihrer Kasse, selbst wenn die Auftragsbücher voll sind. Diese schmerzhafte Erfahrung mussten seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie viele Unternehmen machen.

Viele Lieferketten erweisen sich als sehr fragil

Wie angespannt die Lieferkapazitäten aktuell in vielen Branchen sind, verdeutlichen vom IFO-Institut veröffentlichte Zahlen. Ihnen zufolge klagen zurzeit 70 % der Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes darüber, dass Liefer-Engpässe ihre Produktion behindern. Am stärksten betroffen ist die Autoindustrie (91,5 %), gefolgt vom Maschinenbau (80 %). Auch von den Herstellern elektronischer Produkte klagen 4 von 5 über Lieferprobleme – wobei jedoch unklar bleibt, welche Unternehmen hiermit konkret gemeint sind. Denn Sensoren und Chips werden laut Aussagen des Unternehmensberaters Alban Maier von der Assention AG, Pfäffikon (CH), „heute in fast allen technischen Geräten verbaut“. Deshalb heißt es zurzeit auch oft bei Waschmaschinen, Rasierapparaten und E-Bikes „nicht lieferbar“. Ähnliches gilt für zahlreiche Konsum- und Gebrauchsgüter, weshalb viele Handelsunternehmen schon um ihr Weihnachtsgeschäft bangen.

Dass ihre Lieferketten sich als so fragil erweisen könnten, hätten bis zum Ausbrauch der Corona-Pandemie viele Unternehmen nie gedacht. Doch dann kam das Virus und führte zu einem weltweiten Einbruch der Industrienachfrage. Also reduzierten auch viele Hersteller von Vorprodukten ihre Produktionskapazitäten. Diese fehlen nun, da die Weltwirtschaft auch aufgrund vieler staatlicher Konjunkturprogramme unerwartet schnell wieder Fahrt aufgenommen hat. Mit der Folge, dass laut Maier „eine starke Nachfrage auf verringerte Produktionskapazitäten bei den Vorprodukten und Förderkapazitäten bei den Rohstoffen trifft“. Hinzu kommt: Im Gefolge der Pandemie ist auch der weltweite Gütertransport noch gestört. Zudem fallen aufgrund von Quarantäneverordnungen in Asien, speziell China, immer wieder Produktionsanlagen und Häfen vorübergehend aus. Dies verschärft die Logistikprobleme und lässt die Transportpreise stark steigen. „Zudem versuchen viele Unternehmen wegen der anhaltenden Unsicherheit ihre Lagerbestände mit Vorprodukten wieder auf- und auszubauen“, erklärt Maier. Auch dies verschärft die Güterknappheit und schafft Lieferengpässe.

Bisherige Einkaufsmaximen stehen auf dem Prüfstand

Aufgrund dieser für sie neuen Erfahrung überdenken viele Unternehmen zurzeit ihr Beschaffungsmanagement. Betrieben nicht wenige von ihnen vor Corona im Einkauf ein Global Sourcing gemäß der Maxime „Gekauft wird, wo es am billigsten ist“, so spielen nun „neben dem Preis und der Produktqualität zunehmend auch andere Faktoren bei ihren Einkaufsentscheidungen eine wichtige Rolle“, betont der Managementberater Peter Schreiber. So zum Beispiel die Liefersicherheit. Aktuell denken, so seine Erfahrung, nicht wenige Unternehmen, die bisher Verfechter einer Just-in-time-Produktion und -Bevorratung waren, darüber nach, ihre Lagerbestände künftig wieder zu erhöhen.

Andere erwägen wieder mehr Komponenten selbst herstellen und bei der Beschaffung verstärkt auf „standortnahe Lieferanten“ zu setzen – auch weil sie dann viele der im neuen Lieferkettengesetz, das 2023 in Kraft tritt, vorgeschriebene Faktoren wie das Berücksichtigen von Menschenrechts- und Umweltschutzaspekten leichter kontrollieren können. Zudem überdenken nicht wenige Unternehmen, so Schreiber, ihre bisherige Strategie, aus Kostengründen und administrativen Gründen die Zahl ihrer Lieferanten möglichst zu minimieren. Stattdessen erwägen sie „für wichtige Vorprodukte, die sie bisher von einem Lieferanten bezogen, einen Zweit- und Drittlieferanten an Bord zu holen, um ihre Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten zu verringern“. Den Managementberater, der auf das Thema B2B-Vertrieb spezialisiert ist, freut dies. Denn dies eröffnet nicht wenigen seiner Kunden aus dem Industriegüter-Bereich die Chance, mit Industriekunden ins Geschäft zu kommen, deren Türen ihnen bisher verschlossen waren – sofern sie diesen überzeugend darlegen können: „Wir garantieren Ihnen eine höhere Liefersicherheit, weil …“

Zeitaufwändige Lieferantensuche und -auswahl

Etwas anders sieht es bei den Unternehmen aus, die einen Lieferantenwechsel erwägen oder deren Zahl erhöhen möchten. Sie müssen sich zunächst eine Übersicht verschaffen, wer könnten potenzielle Lieferanten sein und diese anschließend bewerten, damit sie eine qualifizierte Auswahl treffen können.

Dieser Prozess erfordert viel Zeit. Dies ist gerade für mittelständische Unternehmen, die keine große Einkaufsabteilung haben, oft ein Problem. Dieses kann eventuell ein von dem Leipziger Start-up Innolytics AG entwickeltes digitales Lieferanten-Auditierungsverfahren lindern. Dieses hilft Unternehmen, laut Herstellerangaben, den für die Lieferantenauswahl nötigen Zeitaufwand und die damit verbundenen Risiken zu minimieren.

Das auf den ISO-Normen 9001 (Qualität), 27001 (Informationssicherheit) und 26000 (Nachhaltigkeit) basierende Verfahren funktioniert wie folgt:

  • Das jeweilige Unternehmen schickt seinen (potenziellen) Lieferanten den Link zu einem Fragebogen, der neben den ISO-Anforderungen auch bereits die des Lieferkettengesetzes umfasst.
  • Die Lieferanten füllen den Fragebogen aus und erhalten eine Sofortauswertung mit einer Risikoanalyse und einem automatisch erstellten Maßnahmenplan.
  • Die Lieferanten schicken diese beiden Dokumente an den (potenziellen) Auftraggeber zurück.

Im Idealfall erfahren Unternehmen so, laut Innolytics-Angaben, in weniger als einer Stunde, welche ihrer Anforderungen das Qualitäts-, Informationssicherheits- und Nachhaltigkeitsmanagement ihrer (potenziellen) Lieferanten erfüllt. Diese Infos können sie dann für ihre Lieferantenauswahl und die Vertragsverhandlungen nutzen.

Software erleichtert die Lieferanten-Auswahl

Das digitale Lieferantenauditierungsverfahren von Innolytics hat laut Aussagen des CEO Dr. Jens-Uwe Meyer folgende Vorzüge:

  • Das Unternehmen sichert sich gegen rechtliche Risiken ab, indem es zum Beispiel die Selbstauskunft der Lieferanten zu einem rechtlich verbindlichen Bestandteil seiner Verträge mit diesen macht.
  • Es minimiert durch die Standardisierung und Digitalisierung der Abfragen den für Ausschreibungen und die Lieferantenauswahl erforderlichen Zeitaufwand. Außerdem werden die durch das Lieferkettengesetz entstehenden Bürokratiekosten stark reduziert.
  • Es hilft den Unternehmen selbst die IS0 9001-Anforderungen zu erfüllen, indem sie das Tool für die von der ISO-Norm vorgeschriebenen Lieferantenbewertungen nutzen.
  • Mit einem Fragebogen können die Ursachen von Mängeln bei Lieferanten erkundet und ein aktives Risikomanagement betrieben werden.

Die Testversion der Auditierungssoftware ermöglicht es Unternehmen, den Link mit dem Auditierungsfragebogen an ihre potenziellen Lieferanten zu mailen, so dass diese die gewünschte Selbstauskunft erteilen können. „Enterprise-“ und „Enterprise-Plus-Version“. ermöglichen es unter anderem, eine Datenbank aufzubauen, in der aufgelistet ist, welche der Anforderungen die (potenziellen) Lieferanten bereits erfüllen und wo noch Defizite bestehen. Bei der „Enterprise-Plus-Version“ können Unternehmen zudem die Lieferantenanforderungen ihrem jeweiligen Bedarf anpassen. Dies ist im Beschaffungsprozess, so Meyer, oft nötig, „wenn sich die Marktanforderungen oder gesetzliche Vorgaben ändern“. Wie schnell dies der Fall sein könne, das hätten gerade die zurückliegenden 1,5 Jahre gezeigt.

Entscheiden müssen weiterhin die Unternehmen

Der auf Hersteller von Industriegütern und -dienstleistungen spezialisierte Berater Schreiber sieht in einer Software „ein Tool, mit dem Unternehmen die Vorauswahl ihrer Lieferanten systematisieren und vereinfachen können“. Steht jedoch die konkrete Entscheidung an, kooperieren wir mit dem Lieferanten A oder B, ist es gerade bei strategisch relevanten Vorprodukten und Materialen wichtig, auch die Organisation des Lieferanten kennenzulernen – um dessen Selbstaussagen zu bewerten, denn: „Papier ist geduldig“.

Zudem gelte es im Vorfeld die strategische Relevanz der einzelnen Produkte und Leistungen adäquat zu bestimmen, um zu den richtigen Selektionskriterien zu gelangen und diese auch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten adäquat zu gewichten, betont Schreiber – denn gerade die letzten Monate hätten gezeigt, „wie schnell schon das Fehlen solcher Kleinteile wie Schräubchen und Dichtungen, Sensoren und Klemmen die gesamte Produktion lahmlegen kann“.

Ähnlich sieht dies Alban Maier, speziell dann, wenn es um die Auswahl von Dienstleistern geht, mit denen der Hersteller bzw. seine Mitarbeiter fast täglich zusammenarbeiten müssen. Dann muss, so seine Überzeugung, „auch die Chemie stimmen und inwieweit dies der Fall ist, erfährt man nur im persönlichen Kontakt“.

Autor

Lukas Leist arbeitet als SEO sowie (Online-)Marketing und PR-Berater für die PRofilBerater GmbH, Darmstadt, info@die-profilberater.de, T +49 6151 89659-0, www.die-profilberater.de

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